Predigttext: Hiob 14: 1-6

Gottesdienst am Drittletzten Sonntag im Kirchenjahr in der deutschsprachigen Gemeinde in Nairobi am 11-11-18

Liebe Gemeinde,
gestern ist meine Frau zur Beerdigung einer langjährigen Freundin nach Deutschland geflogen. Auf den Karten wird es heißen: „Nach kurzer schwerer Krankheit ist am 6-11-18 unsere liebe … gestorben…“
„Ach wie flüchtig, ach wie nichtig“, haben wir gerade gesungen.
So poetisch hat der Beter unsres Predigttextes seine Verzweiflung und Wut nicht formuliert:
1 Der Mensch, von der Frau geboren, lebt nur kurze Zeit und ist voll Unruhe.
2 Wie eine Blume sprießt er auf und verwelkt:
Gleich einem Schatten flieht er und hat keinen Bestand.
3 Ja, über einem solchen hältst du deine Augen auf und mit mir gehst du ins Gericht !
4 Wie könnte denn ein Reiner von einem Unreinen kommen ? Nicht ein Einziger !
5 Wenn doch seine Tage bestimmt sind, die Zahl seiner Monate bei dir festgelegt ist
und du ihm ein Ziel gesetzt hast, das er nicht überschreiten kann,
6 so schaue doch weg von ihm und lass ihn in Ruhe,
damit er seinen Tag froh beendet wie ein Tagelöhner !

‚Reicht es nicht aus, dass der Mensch nach kurzer Zeit vergeht – musst du ihn dann auch noch vor einen Gerichtshof zerren ? Und in eine Krise stürzen ? Wie soll ich rein in einem unreinen Umfeld bleiben ? Und wenn ich schon so kurz lebe, dann lass mich jedenfalls in Frieden und mein Leben halbwegs froh beenden !‘
Gewohnt sind wir eine andere Sprache, zum Beispiel von einem Gott, der sein Angesicht über uns leuchten lässt und uns Frieden geben möge.
Unser Beter aber sagt, dass Gott uns nur anschaut, um über uns zu richten. Und in diesem Gericht sind wir chancenlos. „Der liebe Gott sieht alles.“
‚Schau doch weg, Gott, lass mich leben wie ein Tagelöhner, von einem Tag auf den anderen, der jeweils am Abend ausbezahlt wird und seinen Feierabend genießen kann. Mach endlich Schluss damit, dass ich einen Kopf darum machen muss, wie ich vor dir in der Schlussrunde meines Lebens dastehe. Schau weg und lass mich in Ruhe.‘
Eltern pubertierender Jugendlicher, die vor einer verschlossenen Tür stehen, wissen, wovon der Mann redet.
Statt „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ heißt es hier: ‚Lass mich in Ruhe und verlasse mich!‘
Eugen Roth reimt:
„Ein Mensch, der recht sich überlegt,
dass Gott ihn anschaut unentwegt,
fühlt mit der Zeit in Herz und Magen
ein ausgesprochnes Unbehagen.
Und bittet schließlich Gott mit Grauen
Nur fünf Minuten wegzuschauen.‘
Wer da so mit Gott redet, heißt Hiob. Das gleichnamige Buch gibt einen Einblick in die himmlische Szene. Da treten Gottessöhne, der Teufel und Gott selbst auf. Satan, im Originaltext „Gegner“ wie in einem Gerichtsprozess, behauptet, Hiob sei nur deswegen gläubig, weil es ihm wirtschaftlich und privat so gut ginge. Gott erlaubt ihm, Hiob seines Wohlergehens zu berauben, allerdings mit der Einschränkung, ihn am Leben zu lassen. In Folge verliert Hiob alle seine Kinder und den Großteil seines Besitzes und seine Gesundheit. Seine eigene Frau sagt: „Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit ? Fluche Gott und stirb !“
Hiob hadert mit Gott und beschreibt das Elend des Menschen. Gott ist ihm zu einer einzigen Zumutung geworden. Gott wird nicht mehr angeklagt, er wird nur noch weg gewünscht. Krise ist noch ein sehr bescheidener Ausdruck dafür.
Sehr nüchtern beschreibt er, was er ist: Eine dann verwelkte Blume, von der nichts mehr übrig bleibt. Das ist etwas anderes als einen Toten künstlich am Leben zu erhalten: „Er lebt in seinen Liedern fort.“ „Ihre Liebe lebt weiter.“ Und gleich nach seinem Tod gab es T Shirts mit dem Aufdruck „Elvis lebt“. Man will nicht wahrhaben, dass Schluss ist. Hiob betet wohltuend klar. Unverfälscht und deutlich wird der Tod benannt im Gegensatz zu hilflosen Zuckergüssen, die nicht tragen und die nicht helfen. Wie eine Blume, die verwelkt, auf einen Winter gibt’s keinen neuen Frühling, tot ist tot. Zwanzig Jahre Liegefrist auf einem deutschen Friedhof bekommt man, dann wird der Grabstein abgeräumt und der Name verschwindet.
In der Notfallseelsorge lernt man das Überbringen einer Todesnachricht. Klar und eindeutig soll man reden. Nicht sagen: ‚Ihr Mann ist von uns gegangen.‘ oder ‚Ihr Mann ist nicht mehr unter uns.‘ Sondern: ‚Ihr Mann ist tot.‘
„Der Mensch lebt nur kurze Zeit und ist voll Unruhe.“ Das erinnert an den Satan am Anfang des Buches: „Ich habe die Erde hin und her durchzogen.“ Der Mensch kommt nicht zur Ruhe.
Und diese Worte Hiobs kennen wir auch: ‚Reicht es nicht aus, dass der Mensch nach kurzer Zeit vergeht – musst du ihn auch noch vor einen Gerichtshof zerren?‘ ‚Reicht es nicht, dass jetzt mein Kind auch noch Drogen nimmt ?‘ ‚Reicht es nicht, dass mein Mann alkoholkrank ist ?‘ ‚Reicht es nicht, dass ich meine Arbeitsstelle verloren habe ? Als ob das Leben nicht schon schwer genug wäre !‘
Hiob fährt fort: „Wie könnte denn ein Reiner von einem Unreinen kommen ? Nicht ein Einziger !“ ‚Du hast recht, Gott, ich bin nicht rein. Ich gebe zu, dass ich ein Sünder bin. Keiner kann immer alles richtig machen.‘ Hiob gibt zu: ‚Ja, ich bin schuldig‘. Aber er verlangt mildernde Umstände. Weiß Gott nicht, in welchem Umfeld wir leben ? Weiß Gott nicht längst, dass wir vor seinem Urteil nicht bestehen können ? ‚Können wir es dir nie recht machen ? Wer macht keine Fehler ? Bin ich schlechter als die anderen ?‘
Es ist ein schmerzhaftes Gebet, das wir da heute hören. Keiner konnte sich seine Eltern heraussuchen. Das geht gegen die Ideologie eines überzogenen Individualismus, der meint, alles selbst steuern zu können. Und es geht gegen die Ideologie, als könnten wir über jede Sekunde unsres Lebens selbst verfügen. Das können wir von diesem geschlagenen Mann lernen.
„Wenn doch seine Tage bestimmt sind, die Zahl seiner Monate bei dir festgelegt ist und du ihm ein Ziel gesetzt hast, das er nicht überschreiten kann.“
Wer die moderne Medizin kennt, mag Zweifel an solchen Sätzen bekommen. Da ist von lebensverlängernden Maßnahmen die Rede. Von Notoperationen. Von künstlicher Beatmung und künstlichem Koma. Oder wir denken an die so genannte Sterbehilfe zum Beispiel in der Schweiz oder den Niederlanden. Vielleicht auch ein Ausfluss der Meinung, man müsse alles selbst bestimmen und könne jederzeit über alles selbst verfügen: Wenn der Tod schon unvermeidlich ist, will ich aktiv daran beteiligt sein.
Bei aller Skepsis und Krise hält Hiob daran fest: Mein letztes Stündlein ist kein Zufall, sondern in Gott begründet. Allerdings: Wenn das Leben schon so kurz ist, sagt er, dann mindestens leben so wie ein Tagelöhner mit Feierabend ohne Aufpasser.
„Ach wie nichtig, ach wie flüchtig…“ Ausgerechnet die Vergänglichkeit macht ihm zu schaffen. Für andere, die leiden, ist das gerade ein Trost: Dass möglichst schnell alles vorbei ist. Nicht so bei Hiob. Vielleicht, weil seine Empörung größer ist als seine Erschöpfung. Vielleicht, weil da noch zu vieles offen ist , noch zu viel nach einer Antwort schreit.
Schließlich sieht er auch die zehn Särge vor sich, in denen seine zehn Kinder liegen.
Mascha Kale´ko schreibt:
Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang,
Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind ?

Allein im Nebel tast ich todtenlang
Und lass mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.

Der weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr,
– Und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der andern muss man leben.

Das Gebet des Hiob ist hart. Der ganze Wortlaut des Textes ist schwer verständlich und nicht nachvollziehbar, wenn man die Lebensumstände des Redenden nicht kennt. Hier: Hiob hat so gut wie alles verloren. Und dann noch die Aufforderung seiner Frau nach dem Abschwören von Gott auch zu sterben.
Das muss man alles wissen, wenn man dieses Gebet einordnen möchte. Es ist so wie immer: Wir kennen einen Menschen erst dann, wenn wir wissen, worunter er leidet. Und der alte Hiob leidet. Und fragt sich seinem Innersten, ob es Gott denn gut mit seinen Menschen meint.
Unser Text bietet erst mal keine Lösung an.
Aber er macht hinter dem ersten Blick Hoffnung: Hiob ist hier eine jämmerliche und hoffnungslose Gestalt. Er darf sein, er hat einen Platz in der Bibel, ein ganzes Buch ist nach ihm benannt. Wer leidet, hat Platz in Gottes Welt. Und die muss das Leiden aushalten und ertragen und nicht durch vorschnelle fromme Antworten vom Tisch wischen.
Das gilt für uns besonders dann, wenn unsre „Hiob-Seiten“ mächtig werden und wir unter einer gedrückten Stimmung leiden.
Im Buch der Sprüche heißt es:
Lachen hat seine Zeit und Weinen hat seine Zeit.
Herzen hat seine Zeit und aufhören zu herzen hat seine Zeit.
Aufbauen hat seine Zeit und abreißen hat seine Zeit.

Das Zweite: Hiob frisst sein Unglück nicht in sich hinein, sondern streitet mit Gott. In diesem Streit ist er glasklar.
Das Dritte: Vielleicht ist da eine Sehnsucht nach Gott in diesem Hiob, eine Sehnsucht danach, dass Gott ihm anders gegenüber treten möge. Eine Erwartung an einen Gott, den er nicht mehr erklären kann. Eine Sehnsucht nach Gehört – Werden, Verstanden – Werden. Schweigen ist schlimmer, Tote reden nicht mehr.
Im Warschauer Ghetto, wo die Nazis eines der grausamsten Massaker verübten, fand man diese Inschrift: „Gott, du hast alles getan, dass ich dir absage. Aber ich lasse dich nicht.“
Hiob ist am Anfang der Geschichte ein frommer Mann, am Ende ein gereifter.

Meine Frau ist gestern nach Deutschland geflogen. Auf die Beerdigung einer langjährigen Freundin, die am Ende nur noch sterben wollte und nicht konnte. Gut, dass sie jetzt bei Gott ruhen darf. Amen.