Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen – Predigt zu Offenbarung 1

Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen. 
Das meinte Altkanzler Helmut Schmidt. Das passt zu dem nüchternen Hanseaten, dem Realpolitiker. Kontrolliert leben und sachbezogen politisch handeln.
Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen. 

Liebe Gemeinde! 
Wir haben jetzt ein Problem, denn wir haben es mit einer Vision und mit einem Visionär zu tun. Und mit was für einem … Was sieht dieser Mensch nicht alles: sieben goldene Leuchter, eine Gestalt, mit langem Gewand, und goldenem Gürtel um die Brust, glühenden Füße schneeweisem Haar, feurigem Augen und wenn dieser Mensch seinen Mund aufmacht ist da ein scharfes zweischneidiges Schwert 
„Der hat sie doch nicht mehr alle. Zuviel getrunken? Der braucht einen Arzt.“ … das sind ehrliche Reaktionen von jungen Erwachsenen aus Ostwestfalen… denen ich vor vielen Jahren diesen Text einmal vorgelegt habe.
also Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen. 

Johannes ist nicht zum Arzt gegangen, sondern hat einen Text geschrieben. 
Und deshalb haben wir ein Problem. Wir müssen mit diesem Text, mit dieser Vision, mit diesem Visionär 
– einen Moment lang zumindest leben – ohne ihn für verrückt zu erklären und ohne selbst verrückt zu werden. 
Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen. Ein Schlagwort. Vision und Krankheit gehören zusammen. Im Umfeld einer Vision, ist etwas nicht in Ordnung. Wo Visionen auftauchen ist etwas krank und deshalb braucht es einen Arzt. Wo eine Vision auftaucht dort ist etwas verletzt, verwundet, verkehrt, der Heilung bedürftig…. Stimmt das auch für Johannes und seine Vision ? 
Bei einer Vision müssen nicht die Menschen krank sein sondern es kann auch die Welt sein, die krank ist. 
Nicht der Visionär ist immer der Verrückte, sondern manchmal ist die Wirklichkeit verrückt. 
Nicht immer muss der sehende Mensch zum Arzt, sondern manchmal muss im Fall einer Vision die Welt, das Leben, die Wirklichkeit verändert, geheilt werden, Die Welt braucht einen Arzt. Aber da die Wirklichkeit, unsere Welt nicht zum Arzt geht, werden stellvertretend die Menschen hingeschickt, die unter der Krankheit der Welt leiden und anfangen etwas anderes zu sehen. 
Die Welt, in der Johannes lebt, ist nicht gesund. Seine Wirklichkeit ist krank. Menschen – ob jung oder alt – werden verfolgt, schikaniert, geschlagen. Manche werden sogar getötet und das weil dieser Jesus Christus ihnen am Herzen liegt. Weil sie auf die Macht seines Gottes vertrauen, verlieren sie ihr normales Leben. Ihr Leben ist verwundet. Das Dasein vieler Christenmenschen ist verletzt, ihre Welt ist beschädigt. Und sie sind machtlos. Sie haben keine Möglichkeiten, daran etwas zu ändern. Es ist schon ein Glücksfall zu entkommen, zu entrinnen. Da kann man nicht viel tun, nicht mehr tun als einfach nur aushalten, standhalten und dabei den Glauben und das Leben nicht über Bord werfen… nicht aufgeben.

Ich denke genau dies ist es, was Johannes wiederfahren ist: Ermutigung zum Standhalten. Und das will er weitergeben an die Menschen. Sie sollen nicht aus diesem kaputten Leben fliehen, sondern standhalten. Mut machen zum aushalten! Er will dass die Menschen trotz allem den Blick heben und sich aufrichten!

Und genau dazu dienen seine Visionen. Was Johannes sieht, ist ein Gegenbild gegen das Krankheitsbild der Welt. Ein neues Bild gegen die alten Bilder des Schreckens. Das ist not-wendig, um nicht zu verzweifeln, um nicht steckenzubleiben in einer ohnmächtigen Realität Das ist notwendig, um den Blick zu heben und um überhaupt die Augen zu öffnen am Morgen, braucht es andere Bilder, ein Bild von anderen Realitäten, von einem anderen Horizont. Das braucht es , damit man wieder wagt, die Augen zu öffnen und den Blick zu heben. Damit man sich aufrichtet und wieder auf die Füsse kommt. Dazu dienen die Visionen und Bilder. 

Es gibt viele von ihnen. Die Bibel birgt einen Schatz voller Gegenbilder, ein Archiv der Visionen und Träume. Johannes hat viele Vorgänger, er kennt sie und nutzt sie. Bilder und Visionen für das Volk Israel, geträumt in kranken Zeiten und beschädigten Lebenswelten. Jesus von Nazareth gehört in diese Reihe. Auch er glaubte sich in einer kranken und an ihr Ende gekommen Welt. Sein Glaube an das hereinbrechende Gottesreich war seine Vision, seine Sicht vom Leben, sein Bild von einer gottdurchtränkten Wirklichkeit. 
Und die Christenmenschen gehören hierhin, dieses wandernde Gottesvolk. Es hat die Bilder Gottes, wie sie in Jesus aufscheinen weitergemalt. Diese Bilder vom Leben, von der Hoffnung, von dem, wie es sein könnte, wie es in den Augen Gottes sein sollte, i have a dream. Dietrich Bonhoeffer fällt mir da auch ein. Seine Vision in der Todeszelle: Von guten Mächten wunderbar geborgen…. Ein Gegenbild, ein Traum, sein Glaube… 

Das sind große Beispiele … es gibt viele ganz kleine. Nicht nur im Raum der Kirche und des Glaubens aber hier sollte es sie auf jeden Fall geben: Wer keine Visionen mehr hat, der soll in die Kirche gehen. Hier gibt es eine Vision vom Leben… Wir wissen es nicht besser, wir leben nicht anders und sind nicht besser, wir können nicht mehr als andere, aber wir können anders sehen. Es braucht auch heute eine andere Sicht auf die Welt, andere Bilder. Bilder zum Standhalten, zum Widerstehen, Bilder um sich aufzurichten. 
Wir sind gefragt nach unseren Bildern vom Leben, vom Glauben, vom Menschen. Wie müssen die Bilder und Träume heute aussehen, damit Menschen standhalten, den Glauben nicht verlieren, das Leben nicht verlieren, die Hoffnung nicht vergessen.

Ich meine wir können von der Vision des Johannes etwas lernen, ohne die Vision direkt zu übernehmen. 
Das Erste: Es braucht neue Bilder die aus alten Elementen zusammengesetzt. Was Johannes erzählt ist neu und alt zugleich: Gürtel, Schwert, schneeweises Haar all das sind Puzzleteile aus alten biblischen Bildern neu zusammengesetzt. Also welche Ausschnitte aus unserer Tradition aus der Bibel aus Gedichten aus Liedern aus Texten aus eigenen Träumen wähle ich mir für mein Ermutigungsbild aus. Also Bilder, Visionen und auch die Utopien von einst neu sichten, aus dem Schrank der Erinnerungen holen und Einzelteile ausschneiden und neu zusammensetzen .
Das Zweite was es zu lernen gibt steht am Anfang: ich Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis …oder wie es in einer neuen Übersetzung heißt: ich teile eure Trauer… am Anfang steht das Teilen von Trauer und Bedrängnis…. am Anfang, vor allen Gegenbildern und Träumen, steht immer wieder die Wahrnehmung der Wirklichkeit. Die Wahrnehmung dessen, was ist. Wahrnehmen die Krankheit der Welt, die Wunden der Wirklichkeit, den Schmerz des Lebens. Das steht am Anfang und erst wenn das gesehen und wahrgenommen wird, erst dann können die neuen Bilder zum Zuge kommen 
Zum Dritten nehme ich mit, was am Ende steht: Fürchte dich nicht, ich bin der Erste und der Letzte…fürchte dich nicht… Ermutigung… mitten in den Spannungen der Gegenwart- Mut zum Leben bekommen. Mut zum Leben, denn die Grenzen der Wirklichkeit verlieren hier etwas von ihrem Schrecken, weil sie in den Händen eines anderen, in Gottes Händen liegen. Gott ist der Abgrund in den wir fallen, wenn wir nicht mehr können. Denn da ist eine andere Stimme die spricht: ich bin der erste und der letzte … also Fürchte dich nicht

Also lasst uns Bilder entwerfen, Bilder vom Leben von der Welt von der Kirche von der Gerechtigkeit.
Neue Bilder aus alten Teilen, tröstend und ermutigend. Bilder, die zeigen was möglich wäre, wenn wir an die Kraft eines Gottes und an die Macht eines Auferstandenen glauben könnten. Bilder, die zeigen, dass uns da einer herausholen wird, dass da eine Macht um uns ist, die für uns kämpft, von guten Mächten wunderbar geborgen. Bilder, die Menschen Mut machen standzuhalten und zu leben. Bilder, die Menschen dazu verleiten, sich dem Leben zu stellen und nicht länger zu fliehen, weil sie wissen das die kranke Welt und keine andere diesem Gott immer noch am Herzen liegt. 
Getrost… manchmal wagemutig … dem Leben zugewandt … die Welt im Blick… und mindestens ein anderes Bild im Herzen …. und genau da legt er seine Hand auf deine Schulter und spricht: Fürchte dich nicht 
Dann brauchen wir wegen unserer Visionen zumindest keinen Arzt mehr.